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Ritter Ungeheuerschlund


Ritter Ungeheuerschlund

Im mittleren Alter unserer Zeitrechnung,

lange nachdem Lux und Nox die Welt verlassen haben,

reiste ein unschuldiger junger Mensch naiv und blauäugig durch das Land.

Neugierig sprach er jeden an, der ihm des Weges entgegenkam,

obgleich er bald schon die Grausamkeit der Welt erkennen lernen musste.

So geschah es, dass ihm auf seiner Reise eine Mauer den

Weg versperrte, die Rechts und Links bis zum Horizont gereichte.

Nur ein einziges Tor, bewacht von einem Ritter in glänzender

Rüstung, der auf einem monströsen Ungeheuer ritt, führte hindurch und weiter des Weges.

Tief verbeugte sich der junge Mensch vor dem ehernen Ritter.

„Mein Herr“, sprach er ihn an. „Vergebung! Darf ich dieses Tor mit Eurem Segen durchschreiten?“

Der edle Ritter sah den jungen Menschen kurz an und antwortete:

„Nein. Du darfst nicht passieren. Niemals.“

Und als unser junger Mensch nach Grund fragte, antwortete

der Ritter ihm: „Niemand darf jenes Tor in meinem Rücken durchschreiten, niemand. Es ist von meinem Herren untersagt. Du musst wohl umkehren.“

Also kehrte der junge Mensch um, der keine Möglichkeit sah,

den edlen Ritter zu überzeugen, und betrat die nächst-

gelegene Stadt.

Dort fragte er jeden, ob Adligen, Kaufmann oder Gesindel,

ob es denn eine Möglichkeit gäbe, durch jenes Tor zu in

das geheimnisvolle, fremde Land zu gelangen; nach welchem sich seine Sehnsucht verzehrte, es zu                                                    betrachten.

Doch wen er auch fragte, niemand half.

Vier Tage suchte er die kleine Stadt nach jemandem ab,

der bereit war, ihn über die unüberwindbare Grenze zu bringen.

Da traf er auf eine Gruppe Händler, die auf eben jenem Weg durch das Tor schienen und bereit waren, ihn unter ihrem Planwagenzu verstecken, wenn sie hindurchfuhren.

Aber ach! An was für zwielichtige Gestalten war unser junger

Mensch geraten, waren sie doch in Wahrheit diebische Betrüger, die es auf das Geld ihres Opfers abgesehen hatten!

Sie versteckten ihn, doch fuhren sie nicht in Richtung des Tores mit dem edlen Ritter, sondern bogen vor jener unüberwindbaren Mauer ab und in einen nahegelegenen Wald hinein, wo sie sich gütlich taten an ihm und die Beute unter sich aufteilten.

Bis auf das letzte Hemd raubten sie unsern jungen Menschen aus und wollten ihn anschließend zu allem Unglück meucheln.

„Gnädige Herren, ich flehe euch an, mein Leben zu verschonen, dass euch doch nichts wert sein kann; habt ihr mir doch

alles genommen“, bettelte er.

„Eben darum“, erwiderten die diebischen Mordlustigen.

„Du bist uns nichts wert. Bist wertlos im Ganzen. Und was macht man mit Wertlosem? Man wirft es weg.

Genauso halten wir es mit deinem Leben: wir werfen es weg.“

Der junge Mensch flehte und bettelte aber um Güte und Gnade, als die falschen Händler ihre Messer hervor nahmen, um ihn zu meucheln.

Da brach aus dem Gestrüpp, o Glück, der edle Ritter mit

seinem monströsen Ungeheuer hervor, stürzte sich auf die falschzüngigen Diebe hernieder und erschlug er sie einer nach dem andern.

Dankbar wandte sich unser junger Mensch an den glänzend ge-

rüsteten Ritter: „Habt unendlichen Dank, Herr! Noch wenige Augenblicke und ich wäre nicht mehr unter den Lebenden! Habt Dank! Meine größte Ehrerbietung! Wie kann ich dies nur              vergelten?“, wollte er wissen und bedrängte den Ritter eifrig, der sein Schwert vom dreckigen Blut der Diebe reinigte.

Er betrachtete nach einer Weile unseren jungen Menschen,

wie dieser entblößt vor ihm kniete und ihn hoffnungsvoll betrachtete.

„So sei es denn“, antwortete der Ritter. „Es gibt etwas,

das ich mir ersehne und bei dem du mir helfen wirst,

nachdem ich dein kümmerliches Leben errettete.“

„Alles!“, rief der junge Mensch und warf die Hände hoch.

Da erhob sich der Ritter und entledigte sich seiner Rüstung und der Gewänder, von den unsicher werdenden Blicken des Erretteten verfolgt.

Mit der Ungleichheit, dass er ein stattlicheren Körper von stattlicherer Größe aufwies und dass ihm das Glied auf ebenso stattliche Größe anwuchs.

„Ich habe mich seit langer Zeit mit niemandem mehr vereinigt; mein Titel verbot es mir. Du jedoch wirst mir nun für meine        körperliche Befriedigung dienen.

Weigerst du dich, wirst du wie deine Entführer durch mein Schwert sterben.“

Die Miene unseres jungen Menschen versteinerte, ob dieser schrecklichen Forderung; er bat und flehte, dass der edle Ritter ihm nicht die Jungfräulichkeit nehme, sein größtes Gut; da holte der Retter wieder sein Schwert hervor, um ihn zu erschlagen.

So fügte sich der junge Mensch und bot sich dem Erretter in Nötigung an.

Der befahl ihm, sich umzuwenden. „Ich verachte den Anblick sowohl von Fut, Tuttel und Flöte, sondern ziehe den deines Rückens vor. Bück dich!“

So wurde der junge Mensch vom edlen Ritter entjungfert und tröstete sich mit dem Gedanken, dass ihm das Leben geschenkt wurde.

Doch glaubte der junge Mensch, damit sei es vorbei, so täuschte er sich, denn die Grausamkeit macht selbst vor den edelsten Herzen nicht halt.

Als der Höhepunkt der Verschmelzung nahte, rief der Ritter sein Ross, das Ungeheuer, herbei; es war bis zur Schulter so hoch wie ein großer Mann, seine Vorder- und Hinterläufe  muskelbepackt, der Blick gierig, sein Schädel doppelt so groß als das eines Stieres, ein Maul, das dem eines großen Hundes glich; ein furchterregendes Wesen.

Auf des jungen Menschen Nachfrage, warum das Tier ihn beschnupperte, antwortete der edle Ritter: „Diebe und Strolche  und Kerle sind kein angemessenes Mahl für ein stolzes Tier, wie er es ist. Es muss schon ein schönes Wesen sein, wie du es bist, das er in sein Inneres ein- lädt.“

In diesem Moment begriff unser junger Mensch, welches Schicksal sein Retter für ihn erdacht hatte und flehte erneut und wehrte sich verzweifelt.

Just als er sich befreien wollte, ergriff der Ritter ihn und rief lachend: „Wo willst du hin? Mein Ross wartet auf sein Mahl!“

Da schnippte er mit dem Finger und das Reittier öffnete den großen, mit schrecklichen Reißzähnen bewehrten Schlund.

Darauf packte er unseren jungen Menschen und drückte ihn in den Rachen des Ungeheuers hinein mit den Worten:

„Hab keine Furcht. Er hasst Sauereien und wird dich in einem Stück verschlingen, während ich meinen Saft in dich ergieße!“

Der junge Mensch schrie und weinte und bettelte um Gnade, als sich sein Kopf schon im Schlund des Monstrums war, aber er wurde nicht gehört.

Der Ritter schenkte ihm seinen Saft, ließ von ihm ab und betrachtete das Schauspiel, wie sein treues Tier mit dem Mundfleisch das Mahl in seinen Schlund drückte und ver- schlang.

Anschließend bekleidete sich der Ritter wieder mit Gewand und Rüstung und schritt zum Tor zurück, das er bewachte, um dort auf das nächste Opfer zu warten, das er für zum Vergnügen benutzte und seinem Ross zum Fraß schenkte.

Jener Ritter hieß Ritter Ungeheuerschlund, da viele, die ihm begegneten, von seinem treuen Freund gefressen wurden.

Selbst denen, die die Edelsten scheinen, muss man mit offenem Blick begegnen, will man nicht scheitern am Leben.

 

Geschrieben 10/2014